Führung, Unternehmertum und Neudeutsch Entrepreneurship scheinen wichtige Begriffe zu sein, denn sie werden mit viel Emotion verwendet.
Von Führungskräften wird Heroisches erwartet. Gleichzeitig fühlen wir uns oft von ihnen enttäuscht. Fast jeder Vorgesetzte fordert von seinen Leuten mehr Unternehmertum und beklagt allgemein, dass es davon zu wenig gibt. Und die Entrepreneurs der (digitalen) Gründerszene sind die neuen Helden. Sie sind schnell, selbstbewusst und zelebrieren den Erfolg auf der Überholspur.
Gleichzeitig ist die Begriffsverwendung nicht immer klar. Wer kann schon genau definieren, was eine Führungskraft ist? Geht es um einen Unternehmer im engeren oder weiteren Sinne? Und sind Unternehmer und Entrepreneurs nicht eigentlich das gleiche?
Wenn man Begriffe unterschiedlich oder unklar verwendet, wird Verständigung schwierig. Ich möchte einen Versuch wagen, den drei Begriffen eine konsistente Definition zu geben. Es geht um Entscheidung, Erneuerung und Freiheit. So man diese Definition akzeptiert, ergeben sich daraus einige Ableitungen, die ich teilen möchte.
Ausgangspunkt der Definition ist der Begriff des Risikos im Sinne von Niklas Luhmann. Luhmann hat Risiko in Differenz zur Gefahr betrachtet. Der Unterschied liegt in der Zurechnung des Verursachers eines möglichen Schadens. Bei der Gefahr liegt die Ursache in der externen Welt und ich kann dagegen nichts machen. Ich bin Betroffener. Beim Risiko habe ich eine Entscheidung getroffen und muss dann mit den Konsequenzen leben. Silje Kristiansen und Heinz Bonfadelli haben dies sehr präzise zusammengefasst:
»Risiko ist die Entscheidung, einen Nutzen zu genießen und dabei einen zukünftigen Schaden mit einer mehr oder weniger gut bestimmbaren Eintrittswahrscheinlichkeit und einem ungewissen Ausmaß in Kauf zu nehmen.«
Berühmt ist auch Luhmanns Beispiel des Regenschirmrisikos:
„Wenn es Regenschirme gibt, kann man nicht mehr risikofrei leben:
Die Gefahr, dass man durch Regen nass wird, wird zum Risiko, das man eingeht, wenn man den Regenschirm nicht mitnimmt.
Aber wenn man ihn mitnimmt, läuft man das Risiko, ihn irgendwo liegenzulassen.“
Eine Führungskraft ist kein Betroffener, sondern ein Entscheider. Eine Führungskraft übernimmt persönliche Verantwortung für sein Handeln und nutzt seine Kraft, um dem Wohle des Unternehmens zu dienen. Man muss nicht formal Macht haben oder Mitarbeiter führen, um eine Führungskraft sein. Formale Macht oder Führungsverantwortung für Mitarbeiter erweitern lediglich die Einflussmöglichkeiten und die Verantwortung. Im Kern ist Führung jedoch die Frage, mit welcher Haltung ich auf die Welt schaue: als Betroffener oder eben als Entscheider.
Jeder Unternehmer führt, aber nicht jede Führungskraft handelt unternehmerisch. Den Unterschied macht das Ziel, an dem sich das Handeln ausgerichtet. Ein Unternehmer ist immer daran interessiert, etwas Neues zu schaffen. Es gilt, Marktchancen zu nutzen und neue Lösungen zu finden. Dafür wird auch das Bestehende immer wieder in Frage gestellt. Für den Unternehmer ist das Stetige der Wandel.
Ein Unternehmer ist eine Führungskraft, die erneuert. Im Gegensatz zu einer Führungskraft, die nur bewahrt.
Ein Entrepreneur ist immer unternehmerisch tätig. Häufig werden die Begriffe Unternehmer und Entrepreneur ähnlich verwendet. Allerdings kann man beobachten, dass der Begriff des Entrepreneurs häufiger im Bereich der Start-Ups auftaucht. Gestandene Unternehmenspersönlichkeiten führen in der Regel größere Unternehmen. Die Unterscheidung nach dem Wirkungskreis, d.h. ob man ein kleines oder größeres Unternehmen führt, empfinde ich als hilfreich. Denn es macht einen Unterschied. In größeren Unternehmen ist man stärker gebunden, in kleineren frei. Diese Freiheit, sein Ding machen zu können, ist es, was viele Unternehmensgründer suchen. Dieses Piratentum zieht viele junge Wissensarbeiter im digitalen Umfeld in seinen Bann.
Damit ergeben sich drei ineinander liegende Kreise der Führung, die sich nach Haltung, Ziel und Wirkungskreis unterscheiden.
Wenn man die Begrifflichkeiten so nutzt, ergeben sich folgende Ableitungen:
- In unserer Gesellschaft nehmen Gefahren ab und Risiken zu. Denn immer mehr Dinge können wir entscheiden. Und das im Zweifel falsch. Deswegen empfinden so viele Menschen die größeren Wahlmöglichkeiten als belastend. Das Buch ‘The Paradox Of Choice’ von Barry Schwartz erklärt diese Phänomen sehr gut.
- Viele Menschen wollen gar nicht immer entscheiden, vor allem nicht im Berufsleben. D.h. nicht jeder möchte eine Führungsrolle übernehmen. Das ist OK. Wir brauchen Menschen, die in einem enger beschriebenen Rahmen verlässlich gute (Fach)Arbeit leisten. Es ist die Aufgabe von Führungskräften, für jeden eine passende Rolle zu finden – inklusive der Option, dass es manchmal keine passende Aufgabe gibt.
- Jeder sollte sich darüber im Klaren sein, dass man in einem weiteren Sinne immer persönliche Verantwortung übernimmt, d.h. entscheidet und führt. Auch nicht-Entscheiden ist eine Entscheidung. Jeder leistet mit seinem Handeln immer einen Beitrag zur Geschichte des Unternehmens.
- Fähigkeiten wie Leidensfähigkeit, Fokus, Durchsetzungsvermögen oder Gestaltungswille, die häufig Unternehmern und Entrepreneurs zugesprochen werden, werden auch von Führungskräften erwartet und geleistet.
- Im allgemeinen nimmt von Führung über Unternehmertum und Entrepreneurship das Risiko zu. Die Wahrscheinlichkeit, Erfolg zu haben sinkt. Das liegt daran, dass die Widerstände größer sind, die man überwinden muss. Etwas Neues gegen das Etablierte durchzusetzen ist schwieriger als das Bewährte zu bewahren. Und als David gegen Goliaths etwas Neues aus dem Nichts zu schaffen ist noch schwieriger.
- Der natürliche Drift ist von Entrepreneurship zu Unternehmertum zu Führung. Dafür gibt es zwei Gründe: Größe führt zu Struktur und viele Menschen wollen lieber Stabilität als Wandel.
Wenn ein Entrepreneur erfolgreich ist, so wächst sein Unternehmen. Freiheit nimmt ab, Sachzwänge nehmen zu. Plötzlich kann man nicht mehr jeden fragen. Man braucht Prozesse. Später dann Hierarchie. Wenn eine Firma groß und erfolgreich geworden ist, braucht es verdammt viel Energie und Mut, nicht nur die Cashcow zu beschützen.
Mark Zuckerberg war bestimmt ein Entrepreneuer. Heute ist er ein erfolgreicher Unternehmer, der sein Unternehmertum auf beeindruckende Weise mit dem Kauf von Instagram und WhatsApp bewiesen hat. Wird er diese Kraft noch immer haben, wenn er Google besiegt hat? - Ein guter Unternehmen erkennt, welchen Kern er bewahren und welche Veränderungen er herbeiführen muss. In diesem Sinne verstanden gelingt es dem guten Unternehmer, den Widerspruch zwischen Bewahren und Erneuern aufzulösen.
- Die ideale Führungskraft ist damit ein Unternehmer, der bewahrt und erneuert – und diese beiden unterscheiden kann.
- Ein Entrepreneur liebt sein Entscheidungsfreiheit. Deshalb fängt er klein an – dann kann er alles kontrollieren.
- Ein Entrepreneur erkauft sich seine Freiheit mit einer geringeren Wirkungskraft. Zumindest am Anfang und für alle die, die nicht erfolgreich werden.